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Gewalt beginnt leise

So beginnt ein sehr lesenswertes und ganz besonders für Eltern und Pädagog:innen informatives Interview von Yvonne Hölzl mit Anja Ebenschweiger in der „STEIRERIN, Juli/August 2025 auf den Seiten 102-105.

Mobbing ist ein systemisches und gruppendynamisches Gewaltphänomen, das über einen längeren Zeitraum wiederholt und systematisch durch Gewalt gegen Körper, Seele und Eigentum erfolgt und durch ein Machtungleichgewicht ausgelöst wird – es ist also kein Kampf zwischen gleich Starken. 

Es dient der Befriedigung eigener Bedürfnisse (wie zB Autonomie & Selbstwirksamkeit, Wertschätzung & Anerkennung, Bindung, Spaß, Sicherheit & Orientierung) und erfüllt somit einen Zweck. 

Mobbing findet in der Gruppe / Klasse eine positive Resonanz (ein Teil der Gruppe reagiert ermutigend, lacht, unterstützt) und verändert den Werterahmen der Gruppe, dh. die Verletzung von Menschenrechten gilt als legitim.

An Schulen sind häufig die sogenannte Testphase (Schüler:innen mit einem erhöhten Bedürfnis nach Macht und Anerkennung testen, wer sich zum Herabwürdigen besonders eignet) und die Konsolidierungsphase (das:die betroffene:n Kind:er werden wiederholt und systematisch attackiert und es haben sich klare Rollen in der Gruppe verteilt) zu beobachten.

Kinder und Jugendliche, die gemobbt werden, ziehen sich möglicherweise zurück, klagen über Bauch- oder Kopfweh in der Früh vor der Schule oder im Laufe des Vormittags oder zeigen andere Verhaltensveränderungen (wobei nicht jede Verhaltensveränderung mit Mobbing zu tun haben muss). 

Das Hauptszenario bei Mobbing ist aber das Schweigen aller Schüler:innen. Buben werden oft selbst aggressiv (externalisierendes Verhalten), Mädchen verletzen sich eher selbst (internalisierendes Verhalten). Kinder warten zB. vor der Klassentür auf die:den Lehrer:in oder stehen in der Pause in der Nähe der Lehrpersonen. 

Die Eltern sollten, wenn sie von einem Mobbing(-Verdacht) erfahren, zunächst tief durchatmen und in Ruhe gemeinsam mit dem Kind überlegen, welche Schritte nun sinnvoll sein könnten. 

Aussagen von Kindern und Jugendlichen lösen bei den Eltern verständlicherweise eine hohe Emotionalität aus, diese dürfen aber Eltern nicht in Form eines „Kampfmodus“ durch Veröffentlichung und Schuldzuweisung lösen, denn dadurch „ent-sorgen“ sie ihre Gefühle über die eigene Tochter oder den eigenen Sohn. 

Wichtig wären hier vier Fragen:

1. „Wie geht es dir?“, „Wie fühlst du dich?“,
2. Was ist passiert, wie lange dauert das schon und wer steckt hinter diesen Menschenrechtsverletzungen?“,
3. „Wie lösen wir es gemeinsam?“ und
4. „Hast du noch Wünsche?“ und dann sollten Eltern die Kinder und Jugendlichen trösten.

Eltern geben aber auch schlechte Rat-Schläge wie: „Geh dem oder denen aus dem Weg!“, „Wehr dich!“ oder auch „Ignoriere das einfach!“. Diese Rat-Schläge führen dazu, dass Betroffene sich selbst Bewältigungsstrategien aneignen, in der Folge Schweigen und sehr oft ein Leben lang davon betroffen bleiben.

Eltern sollten keinesfalls die Eltern der „Mobber:innen“ direkt kontaktieren und zur Rede stellen, niemand öffentlich (z.B. über soziale Plattformen) die Schuld geben oder in die Klasse gehen und die Kinder auffordern, damit aufzuhören. Damit zerstören sie die Souveränität ihres eigenen Kindes und verschlimmern die Situation noch, sodass ihnen ihr eigenes Kind zukünftig vermutlich nicht mehr von den weiteren Erfahrungen berichten wird.

Eltern sollten mit ihren Kindern und Jugendlichen auf alle Fälle ein Tagebuch führen, weil es der Seele, der Psyche hilft und für Außenstehende einen Prozess und eine Struktur aufzeigt.

Mobbing ist ein systemisches Phänomen und braucht eine systemische Prävention und -Intervention auf Klassenebene. 

In vielen Fällen wissen die Lehrer:innen gar nicht, dass es in ihrer Klasse Mobbing gibt, weil die Kinder, die andere mobben, hoch intelligent und manipulative sind und die Mobbinghandlungen meist dann setzen, wenn kein Erwachsener / Lehrer:in dabei ist und es sieht. 

Lehrer:innen können jedoch anbieten, für Gespräche zur Verfügung zu stehen, ein vertrauensvolles Verhältnis zu den Schüler:innen aufbauen und damit die Wahrscheinlichkeit erhöhen, dass Schüler:innen sich der:dem Lehrer:in anvertrauen. Sie müssen aber auch erklären, wie sie mit den Erfahrungen – zum Beispiel vertraulich behandeln, nicht sofort der Klasse rückmelden – umgehen. 

Gleichzeitig können Lehrer:innen klare Regeln mit der Klasse erarbeiten und diese auch konsequent umsetzen. Wir arbeiten mit dem Training „Achtung Mobbing!“ gerne mit Anreizsystemen, um jene Schüler:innen zu belohnen, die sich an diese Regeln halten. 

Gleichzeitig sollte es auch klar kommunizierte und transparente Konsequenzen geben, wenn sich Schüler:innen in ihrem Verhalten nicht an die vereinbarten Regelungen halten.

Kinder und Jugendliche aufzuklären und zu informieren, zu motivieren und zu ermutigen zu reden, zu reden und zu reden und sich – wo auch immer – Hilfe zu holen. Dazu braucht es allerdings auch die „passenden“ Erwachsenen, wie Pädagog:innen und Eltern; oder es bräuchte für Kinder und Jugendliche neue Ansprech- und Beratungsmöglichkeiten.

Jeder hat das Recht sich bei einem Angriff körperlich zu wehren, doch Mobber:innen nutzen ein solches Verhalten auch für sich als Strategie.

Bei einer Konsolidierungsphase gibt es in Zwangskontexten wie Kindergartengruppen oder Klassen neben Alpha (Mobber.in) auch Assistent:innen und Verstärker:innen; grundsätzlich kann man dabei von rund 25 Prozent dieser Gruppe ausgehen.

Diese Gruppe weiß ganz genau, wo Omega (Betroffene:r) seine emotionalen und psychischen Schwachpunkte hat und bringen so – beispielsweise auf der Toilette oder in der großen Pause – das Kind oder den Jugendlichen zur Verzweiflung. 

Wenn sich jetzt dieses Opfer körperlich wehrt, beklagt die Gruppe diese Situation immer wieder bei den Pädagog:innen und es kommt im Laufe der Zeit zu einer Opfer-Täter-Umkehr, weil sich von Mobbing betroffene Kinder und Jugendliche nicht mehr selbst helfen können und sie gelernt haben, dass das soziale Umfeld nicht aktiv zuhört und hilfreich unterstützt.

Es ist wichtig, in den Klassen die Empathie und das gegenseitige Mitgefühl zu fördern. In dem Training „Achtung Mobbing!“ wird daran gearbeitet, die große Anzahl an Schüler:innen, welche das Mobbing nicht in Ordnung finden, aber aus den unterschiedlichsten Gründen schweigen, zu aktivieren und den Resonanzboden für das Mobbing zu entziehen. 

Gleichzeitig werden die Kinder in der Klasse emotional berührt, was zu einem Perspektivenwechsel und im besten Fall zu einer Verhaltensänderung führen kann. Denn Menschen lernen in der Auseinandersetzung mit den Folgen des eigenen Handelns.

Keine! 

Mobbing entsteht im 1. Zwangskontext, der Familie, wenn die psychischen Grundbedürfnisse der Kinder nicht ausreichend erfüllt werden, den Kindern über partizipative Grenzen und Konsequenzen keine oder eine geringe Frustrationstoleranz, Ambiguitätstoleranz, Selbstkontrolle und auch Empathiefähigkeit vermittelt wird und durch die gesellschaftliche Situation es schlicht an „emotional verfügbaren Bezugspersonen“ fehlt. 

Das hat zur Folge, dass Kinder im 2. Zwangskontext bereits im Kindergarten „mobben“, um sich diese Defizite auszugleichen. Ein Schupfen, ein Treten, ein etwas Wegnehmen, ein Beleidigen, hat sofortige Selbstwirksamkeit zur Folge und das wird dann wiederholt.

Gewalt ist einfach, Alternativen sind komplex und für Kinder selbst nicht zu realisieren, daher wären Eltern das Bollwerk gegen das Gewaltphänomen Mobbing.

Mobbing ist also bereits im Kindergarten ein ernst zu nehmendes Thema, allerdings hören Eltern und auch Elementarpädagog:innen nicht ausreichend hin, sodass die Betroffenen Bewältigungsstrategien entwickeln, während die Mobber:innen diese Situation für sich und ihre persönliche Befindlichkeit nutzen.

Im 3. Zwangskontext der Schule bzw. Klasse wird dann von den Mobber:innen das erlernte dissoziale Verhalten weiter gemacht, weil es den eigenen Selbstwert erhöht und Aufmerksamkeit, Macht und Spaß generiert und Betroffene wenden die erlernten Bewältigungsstrategien, das sind Anpassungs- und Vermeidungsstrategien an.

Am Anfang steht immer der Vertrauensaufbau, daher kann ein wirksames Mobbing-Präventions- und -interventions-Programm nicht in drei Stunden abgehalten werden. 

Wir arbeiten zB. 8 bis 10 Schulstunden (je nach Alter der Kinder) an zwei oder drei Vormittagen mit den Schüler:innen; der Klassenvorstand / Klassenlehrer muss verpflichtend anwesend sein und mit den Pädagog:innen und Eltern.

Es braucht emotionale Berührung und Folgenkonfrontation („Wie würde es euch dabei gehen?“), denn ohne die, ist eine Verhaltensänderung (zB. nicht mehr zu schweigen oder die betroffenen Kinder zu unterstützen) kaum möglich. 

Es werden Helfersysteme für die betroffenen Kinder etabliert und ein Unterstützungssystem in der Klasse, welches in engem Austausch mit den Lehrer:innen steht, damit in und mit der Klasse auch in den Wochen danach kontinuierlich nachgearbeitet werden kann, um einen Rückfall zu vermeiden.

Von Mobbing betroffene Kinder und Jugendlichen reden zwar davon, aber nicht ausreichend deutlich und finden so kaum Gehör. Dazu kommt, dass sie davon ausgehen, dass dieses Gewaltphänomen mit ihnen und vor allem mit ihrem Körper und | oder Verhalten zusammenhängt und sie sich schämen, ihnen das peinlich ist oder – auch das hören wir oft – sie die Eltern mit den Worten „Ich möchte ihnen nicht noch mehr Kummer bereiten!“ schützen wollen.

Es bräuchte daher seitens der Eltern und Pädagog:innen mehr Wissen, mehr Aufmerksamkeit und mehr Bereitschaft aktiv zuzuhören und zu helfen. Über das Thema Mobbing hinweg, bräuchte es an Schulen das präventive Vorbereitungsprogramm „Einsatzort Schule“ mit jährlichen Schulungen. 

Amoktaten wurden von den Tätern online beinahe immer in einer Form angekündigt. Dieses Phänomen nennt sich Leaking, doch auch darauf sind Schulen in Österreich nicht vorbereitet.

Amoktaten sind der Endpunkt einer krisenhaften Entwicklung, bei der individuelle Bewältigungsmechanismen versagt haben. Ihnen geht stets eine Entwicklungsgeschichte voraus, die von Warnsignalen begleitet ist.

Ein zentraler Begriff ist in diesem Zusammenhang das sogenannte Leaking. Es bedeutet, dass der Täter Tatphantasien oder Pläne im Vorfeld direkt oder indirekt „durchsickern“ lässt. 

Das Leakingphänomen bietet Ansatzpunkte zur Früherkennung und zu gezieltem Eingreifen. Es muss an dieser Stelle betont werden: Eine Prävention im klassischen Sinn kann es bei Amoktaten nicht geben. 

Gleichwohl gibt es Chancen der Früherkennung und Gefahrenreduzierung. Festgehalten werden muss aber, dass es keinen abschließenden Katalog oder ein Raster geben kann, jeder Fall ist individuell. Einzelne Indikatoren können jedoch im Zusammenwirken einen „Kompass“ bilden.